Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1941, Blaðsíða 29
DIE ENTWICKLUNG DER FINNISCHEN FRAU 23
bald in der Gestalt lángst verflossener Zeiten, mit mutigen mánn-
lichen Taten unter den stándig lauernden Gefahren der Grenz-
gebiete, bald wiederum bei der Erfullung der Aufgaben, vor die
eine jiingere Zeit sie gestellt hat.
Lasst uns also ein Stiick Weges mit ihr wandern! Schon von
dem Zeitpunkt an, wo die ersten Hauptstámme der Finnen sich
zwischen den Jahren 300—700 im Lande niederliessen, ist das
Leben der finnischen Frau ein harter Kampf ums Dasein gewesen.
Diese ersten Finnen ernáhrten sich von Jagd und Fischfang und
zogen von Ort zu Ort, nach neuem Wildbret spáhend. Das
Klima war streng und der Boden unergiebig. Allmáhlich fanden
sie fischreiche Fliisse und fruchtbare Táler, machten kleine Stiick-
chen Land urbar und bauten sich Háuschen mit nur einer Wohn-
stube. Die Jagd wurde jedoch nicht aufgegeben, und wáhrend die
Mánner lange Zeit auf See- und Jagdreisen abwesend waren,
besorgten die Frauen alle Arbeiten daheim. Dies gab ihnen schon
friih eine unabhángige Stellung, erweckte das Gefiihl der Verant-
wortung und entwickelte ihre Freiheitsliebe und ihren Unterneh-
mungsgeist. Andererseits bildete der schwere Kampf mit dem
kargen Boden in der Einöde einen Charakter heraus, der zu steifer
Schweigsamkeit und zur Isolierung neigte. — Das Volk strebte
aber unermiidlich weiter. Es gelang ihm, eine ureigne, nationale
Kultur ins Leben zu rufen. Das Epos »Kalevala«, dieser Spiegel
der Zeit der finnischen Unabhángigkeit im Altertum und des
wahren Wesens des finnischen Volkes, zeigt uns auch ein Bild
vom Leben der selbstándigen finnischen Frau in jenem Kalevala-
Gemeinwesen, in dem die Idee der individuellen Freiheit die zen-
trale Grundlage der Lebensanschauung bildete und die Macht des
^issens als das höchste Ziel des Strebens erschien. Ein Sonderzug
jenes Zeitalters war die Ehrfurcht, die man der Persönlichkeit der
Frau gegeniiber empfand. Man denke nur, um einige Beispiele
fus dem Kalevala zu nennen, an die Mutter Lemminkáinens in
ihrer unermiidlichen Liebe, an Aino, jenes weichherzige junge
Mádchen, das lieber den Tod wáhlte als auf das Recht verzich-
tete, selbst iiber ihre Gefuhle zu bestimmen, oder an Louhi, die
fleissige Wirtin, die nicht nur im eigenen Heim das Zepter fiihrte,
sondern zur Fiihrerin ihres ganzen Stammes emporstieg. Wie
Lbendig steht auch vor unseren Augen die stolze Marjatta aus
der ármlichen Hutte!
Bláttern wir weiter in den Annalen der Geschichte, um gegen
Ende des ersten Jahrtausends Halt zu machen, so finden wir die