Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1941, Blaðsíða 154
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LE NORD
land einen so wirkungsvollen Beweis erbracht hat. Und vielleicht
vor allem entsprechen sie der »keltischen Renaissance« in Irland.
Es war ein intensiver Friihling der Dichtung iiberall in Europa.
Die Phantasie, die ihre Schwingen entfaltet hatte, machte sich auf,
um die heiligen Urquellen der Volkskraft zu suchen.
Der iiber dem Lande liegende eigentiimliche Sehnsuchtsschim-
mer machte Karelien zur Heimat der Kiinstlertraume. 'Wahrlich:
die vielen Wanderer, die in den <?oer Jahren des letzten Jahr-
hunderts in die karelische Wildnis wallfahrten, hatten ein tief-
schauendes seelisches Auge. Die Einöde kam ihnen in geheimnis-
voller Weise irgendwie vertraut vor. Der grosse Dichter Eino
Leino schildert sein Erleben im Sommer 1895 am Ufer des Megri-
járvi wie folgt: »Auch auf dem Hofe dort hatte ich am Gesprách
wie von aussenher teilgenommen. Sie hatten nach meinem Beruf
gefragt, nach meinem Leben, nach den Verháltnissen bei mir
zu Hause. Was ging das mich an? Hier war ich zu Hause, hier
war ich geboren. Es kam mir vor, als ob ich irgendwo schon
einmal alle diese Höfe, diese Hiigel und Seen geschaut hátte.
Aber warum kennen sie mich nicht? Warum fragen sie mich alles?
Ich hatte Lust, mit ausgebreiteten Armen auf diese Menschen zu-
zugehen und den Wáldern und Feldern zuzurufen: Kennt ihr
mich nicht? Ich bin doch nicht fremd hier, ich kehre nur von
einer langen Reise zuriick. Hier bin ich geboren, euch liebe ich,
und hier will ich bleiben.«
Die Sehnsucht der finnischen Dichter fand keine Erfiillung.
Eine uniibersteigbare Mauer wuchs an der Grenze der Erdteile
empor, als Russisch-Karelien in den Besitz der Sowjetunion iiber-
ging. Diese unterdriickte jeden Versuch zur Selbstándigkeit im
Lande, sie begann, statt die versprochene Kulturautonomie zu
gewáhren, es zu russifizieren und die finnische Bevölkerung weit
in das Innere Russlands zu verschicken.
Die alten Gesánge, die einsame Natur, der orthodoxe Glaube
— alles das náhrte die Sehnsucht in die Ferne. Kraft der Sehn-
sucht und kraft seines uralten Zaubers bereicherte Karelien das
gesamte finnische Geistesleben, wie es nur wenigen Lándern Euro-
pas vergönnt war: ein heiliges Land der Phantasie an der eigenen
Grenze, die Urheimat der Volksseele, das Hellas der Dichtung
und ein Ziel der Wallfahrt....
Es ist sehr interessant festzustellen, dass die Entdeckung des
karelischen Geistes vom Entlegenen zum Nahen erfolgte, von
Norden zum Siiden, von Russich-Karelien zur Karelischen