Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1941, Side 217
OTTO JESPERSEN
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Einer alten Familientradition gemass begann er, Rechtswis-
senschaft zu studieren, ohne diesem Fach jedoch grösseres Interesse
abgewinnen zu können. Bereits in der Schule hatte er (im iibrigen
auch ein guter Mathematiker) fíir Sprachen und Sprachwissen-
schaft Interesse gefasst, namentlich durch das Studium von Rask,
und sein Direktor, Carl Berg, der selbst philologische Schriften
verfasst hatte, lieh dem tiichtigen Schiiler sprachwissenschaftliche
Werke. Um sich eine notwendige Extraeinnahme zu verschaffen,
war er eine Reihe von Jahren lang Reichstagsstenograph, und
mit dieser Einnahmequelle im Riicken gab er nach vierjáhrigem
Studium die Rechtswissenschaft auf, um ausschliesslich Sprachen
zu studieren. Was dies fiir Jespersen bedeutete, geht aus Ingenieur
H. E. Giersings Beitrag zu dem unten erwáhnten Gruss an Otto
Jespersen hervor, in dem er u. a. schreibt: »Ich hátte wohl Lust,
ein Bild von dem zwanzigjáhrigen Otto Jespersen zu zeichnen
— nein, zu malen, wie er, als wir eines Tages einander begegneten,
auf meine Frage, warum er so vergniigt aussehe, freudestrahlend
antwortete: ja, jetzt habe er die Rechtswissenschaft iiber Bord
geworfen und wolle Sprachwissenschaftler werden! Und aus
seinen Augen leuchtete eine solche Erwartung und ein so uner-
schiitterlicher Glaube an die Zukunft hervor, dass ich ihn kaum
wiedererkannte. Er war ein ganz anderer Mensch geworden ....
ein junger Heros, der davon tráumte, die Welt zu erobern. Was
er ja auch getan hat.«
Eine Reihe von Jahren hindurch betrieb Jespersen nun freie
Sprachstudien und bestand schliesslich 1887 das Staatsexamen als
Oberlehrer mit Französisch als Hauptfach und Latein und Eng-
lisch als Nebenfáchern. Nach der Magisterpriifung wirkte er
einige Jahre als Lehrer, setzte aber gleichzeitig seine wissenschaft-
lichen Studien fort und unternahm u. a. eine lange Studien-
reise im Auslande, in England, Deutschland und Frankreich.
Französisch war zwar sein Hauptfach, Englisch hatte ihn aber
immer stark interessiert. Sein erstes Buch, das, als er noch Student
war, an seinem 25. Geburtstag (1885) erschien, war eine kurz-
gefasste Grammatik der englischen Umgangs- und Schriftsprache,
die sich dadurch auszeichnete, dass sie als das erste dánische Lehr-
buch einer fremden Sprache auf die gesprochene Sprache als das
Wesentliche Gewicht legte und alle im Buche angefuhrten Bei-
spiele auch in Lautschrift brachte. Mit diesem Buche wurde der
erste bedeutungsvolle Schritt zur Einfiihrung eines modernen
Sprachunterrichts in Dánemark getan. Er widmete sich nun im-