Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1941, Page 268
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LE NORD
rekte Ausgabe des gotischen Textes zustandezubringen. Unter den
Vorschlagen, die bei den Vorarbeiten zur Codex Argenteus-Aus-
gabe auftauchten, mag einer erwáhnt werden, der uns zu dem
Thema hinfiihrt, mit dem wir uns hier bescháftigen, den Faksi-
mileausgaben. Man zog námlich eine Zeitlang mit grossem In-
teresse die Möglichkeit in Erwágung, eine Faksimileausgabe des
Codex Argenteus in der Weise zustandezubringen, dass ein ge-
schickter Flolzschneider jede Seite der Flandschrift fiir sich ab-
zeichnen und dann den so entstandenen Text in Holz schneiden
sollte, auf Stöcken, nach denen sich spáter ein Druck herstellen
liesse. Bei náherer Untersuchung musste indessen dieses an und
fiir sich interessante Projekt aufgegeben werden, da, wie Eric
Benzelius schreibt, »niemand ein Blatt richtig abzeichnen kann,
der es nicht lesen kann, und niemand dasselbe lesen kann, der
nicht die Sprache versteht«. So sah man sich aus praktischen
Griinden genötigt, der Arbeit mit der ersten Faksimileausgabe
der nordischen Literatur Einhalt zu tun.
Als die Reproduktionstechnik im Laufe des 19. Jahrhunderts
einen solchen Stand erreicht hatte, dass eine wenigstens im we-
sentlichen exakte Wiedergabe von Handschriftentexten möglich
wurde, dauerte es nicht lange, bis man auch in den nordischen
Lándern daran zu denken begann, Faksimileausgaben von den
beriihmtesten Handschriften der álteren Literatur zu veranstal-
ten. Unter diesen befanden sich viele, die Gegenstand eines leb-
haften Interesses waren, aben wegen ihrer Kostbarkeit von der
Institution, deren stándiger Obhut sie anvertraut waren, nicht
ausgeliehen werden konnten. Beziiglich des Ausleihens von Hand-
schriften war man in der Bibliothekswelt lange Zeit iiberhaupt
áusserst reserviert. In den Fállen, wo ein Ausleihen gestattet
wurde, geschah dies unter sehr umstándlichen Formen, wenn man
darin auch nicht ganz so weit ging wie einmal die Bibliotheks-
behörden in Kassel im 18. Jahrhundert, als der beriihmte Orien-
talist Michaelis in Göttingen den Wunsch áusserte, einen he-
bráischen Codex von dort zu entleihen: dem Ersuchen wurde
námlich nur unter der Bedingung stattgegeben, dass die Hand-
schrift in einem besonderen Postwagen zum Bestimmungsorte
gebracht wurde, unter Begleitung einer Schwadron Husaren mit
geziickten Sábeln. Der beim Entleihen von Handschriften im
Verkehr zwischen verschiedenen Lándern oft benutzte diploma-
tische Weg war ungeheuer umstándlich, hatte endlose Schreibe-
reien im Gefolge und nahm unnötig lange Zeit in Anspruch. Jede