Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1941, Blaðsíða 65
ISLÁNDISCHE MALER
Yon Georg Gretor
ERST seit einem Yierteljahrhundert kann man von einer is-
landischen Malerei sprechen. Sie ist so jung, dass sie noch
keinen Platz in der Kunstgeschichte der nordischen Völker
gefunden hat. Aber schon die erste Malergeneration des begabten
islandischen Volkes hat kraftvolle und eigenartige Persönlichkei-
ten hervorgebracht, und es sind bereits Werke entstanden, die
kiinstlerisch bestehen bleiben werden.
¥o islándische Maler in auslándischen Kunstkreisen studier-
ten und malten, erzwangen sie sich schnell Anerkennung. Jón Ste-
fánsson ist Ehrenmitglied der Kopenhagener Akademie und Mit-
glied von Grönningen, Júlíana Sveinsdóttir ist Mitglied des Zen-
surkomitees von Charlottenborg, Finnur Jónsson war in seiner
Jugend an der deutschen Sturmbewegung beteiligt, und Gunn-
laugur Blöndal stellte jahrelang im Pariser Salon d’Automne er-
folgreich aus.
Den grössten Einfluss auf die islándische Malerei hat der Im-
pressionismus und Nachimpressionismus ausgeiibt. Aber nicht der
Umstand, dass die Islánder gelehrige Schiiler sind, macht sie in-
teressant, sondern vielmehr, dass sie von den Kunstbegriffen und
Lehren der grossen 'Welt instinktsicher nur das aufnehmen, was
ihrem Wesen entspricht. Auf diese Weise ist es ihnen gelungen,
alle fremden Anregungen in schöpferischer Weise zu verarbeiten.
So grosse individuelle Unterschiede die Produktion der verschie-
denen islándischen Maler auch aufweist, so ist in den meisten ihrer
Bilder doch etwas gemeinsam Charakteristisches vorhanden, das
man als islándische Kunstsubstanz bezeichnen könnte.
Da die gesamte islándische Einwohnerzahl nur ca. 120,000
Menschen betrágt, kann sich die islándische Malerei, rein quanti-
tativ betrachtet, natiirlich nicht mit der Malerei der anderen nor-
dischen Völker messen, aber es gibt doch heute schon einige hun-
dert islándische Bilder, die einen ganz faszinierenden malerischen
Akzent haben, sozusagen eine eigene kiinstlerische Signatur.
Die islándischen Sagas mögen vielleicht in mancher Beziehung
heute archaistisch wirken, aber sie sind nicht destoweniger eine
ausserordentlich bedeutungsvolle kiinstlerische Tat. Die nach-
impressionistische islándische Malerei wirkt sehr modern — und