Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1941, Blaðsíða 290
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LE NORD
gesprochen wird, und der Lesestoff ist von den Tagen der Kind-
heit an iiberall der gleiche, die alten, wunderbaren, sprachlich
meisterhaften Sagas. —
Der máchtige Einfluss der alten islándischen Literatur blieb
lange Zeiten hindurch so lebendig, dass die Schriftsteller des 14.,
15. und 16. Jahrhunderts Islándisch als Schriftsprache beibehiel-
ten. Die verháltnismássig reiche islándische Literatur erforderte
denn auch bald eine Druckerei, die Bischof Jon Arason ca. 1530
aus Schweden kommen liess. Kurz vorher hatte man in Dáne-
mark Biicher zu drucken begonnen, wáhrend Norwegen erst viel
spáter seine erste Druckerei erhielt.
Es ist nicht zuviel gesagt, dass alles Buchwissen iiber das nor-
dische Altertum auf der altislándischen Literatur beruht, und in
der Geschichte des Nordens fiihren alle Wege nach Island. Auch
weiterhin bliihte die Sprache in der Bevölkerung und schöpfte
reiches Leben aus den geistigen Schátzen und der nationalen Ge-
sinnung des Volkes. Die Arbeit des Bischofs Guftbrandur wird
noch lange in Erinnerung bleiben, und der Propst von Melstaður,
Arngrímur der Gelehrte, ist wegen seiner Schriften iiber die alt-
nordische Literatur und seiner iibrigen Arbeiten beriihmt; sie wur-
den zu Quellenschriften des nordischen Altertums. Im Laufe der
Zeiten war diese Literatur jedoch in Vergessenheit geraten oder im
iibrigen Norden entstellt worden, bis die Islánder selbst ihr ’W’issen
nutzbar machen und von dem erzáhlen konnten, was von Anfang
an im Volke lebendig geblieben war. Dies hángt damit zusammen,
dass es, jedenfalls in Europa, keine Nation gibt, die schárfer her-
ausgemeisselt wáre als die islándische, deren Kenntnis der eigenen
Geschichte bis zu den ersten Anfángen des Volkes und der Be-
siedlung des Landes zuriickreicht. Das Land selbst iibernahm das
Volk noch frisch aus der Werkstatt der Natur, unberiihrt und
namenlos, so dass man mit Fug sagen kann, dass das islándische
Volk wie kaum ein anderes im ureigensten Sinne Heimatrecht in
seinem Lande besitzt.
Aus spáterer Zeit kann man auf die lebendige und reiche
Sprache in den Passionspsalmen des Psalmendichters Hallgrímur
Pjetursson hinweisen, die in Island in 50 Ausgaben erschienen sind.
Mit dem 18. Jahrhundert lásst sich wohl ein gewisser, ungiin-
stiger auslándischer Einfluss auf die islándische Literatur feststel-
len, aber auch zu dieser Zeit lebten mehrere von Islands besten
Schriftstellern. Wenn auch der geniale Sammler Professor Árni
Magnússon nicht viel geschrieben hat, so hat er doch den Grund
zum Studium der altislándischen Literatur gelegt, indem er fast