Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1941, Síða 289
DIE ISLÁNDISCHE LITERATUR-
GESELLSCHAFT
(»Hið íslenzka Bókmentafjelag«).
DIE GRtJNDUNG DER GESELLSCHAFT UND IHR
HAUPTSTIFTER RASMUS KRISTIAN RASK.
Von Jon Sveinbjörnsson,
Kabinettssekretár S. M. des Königs Christian Xten von Island.
DASS die alten islándischen Verfasser zu einer Zeit, als
man in ganz Europa Lateinisch schrieb, sich immer ihrer
eigenen Muttersprache bedienten, hat seit langem Auf-
merksamkeit erregt. Dies ist nicht darauf zuriickzufiihren, dass
die islándischen Schriftsteller nicht imstande gewesen wáren,
Lateinisch zu schreiben; denn die Bevölkerung und die Gelehrten
des alten Island standen in dieser und in anderer Hinsicht keines-
wegs hinter anderen Völkern der Welt zuriick. Weit eher ist die
Ursache darin zu suchen — ohne dass ich hier náher auf diese
Frage eingehen will —, dass die Sagas von einer Generation zur
anderen in der Muttersprache weitererzáhlt wurden, und dass
es daher bei einer schriftlichen Aufzeichnung derselben nur einen
Umweg bedeutet haben wiirde, sie erst ins Lateinische zu iiber-
setzen. Sei dem nun, wie ihm wolle, diese Tatsache hat jedenfalls
die bedeutsame Folge gehabt, dass das islándische Volk als ein-
ziges von allen nordischen Völkern die alte nordische Sprache
fast unverándert bewahrt hat. Man hat zwar behaupten wollen,
dass diese Entwickelung in erster Linie in der abseitigen Lage
Islands und seiner lange Zeit hindurch schwachen Verbindung
mit der iibrigen 'Welt begriindet sei, und es ist nicht ausge-
schlossen, dass dies von einiger Bedeutung gewesen ist. Die
Hauptursache sind jedoch die Literatur und die Schriftsprache,
die vom Volke geliebt und sorgsam gepflegt und nicht nur in
Biichern, sondern auch in der táglichen Rede angewandt wurde.
Die Bliitezeit der islándischen Literatur — einer Literatur, weit
wertvoller als die zeitgenössische Literatur unserer Brudervölker
— hat ferner zur Folge gehabt, dass man in Island, trotz der
geringen Zahl seiner Bewohner und der Abgeschiedenheit der
einzelnen Dörfer, keine wirklichen Dialekte kennt; die schönste
und reinste Schriftsprache ist gleichzeitig die Sprache des Volkes,
wie sie am reinsten und schönsten auf dem Lande in Island