Bibliotheca Arnamagnæana - 01.06.1967, Page 36
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EINLEITUNG
graphie als dasjenige Gebiet, das am meisten neues Material zu den
hier aufgeworfenen Fragen zu liefern versprach21. Um ein moglichst
umfassendes Bild von der Gliederung des Westnord. zu gewinnen,
sollen jedoch Laut- und Formenlehre im zusammenfassenden Schluss-
kapitel nach Moglichkeit mitberucksichtigt werden. Anderseits sollen,
da es hier letztlich um Gliederungsfragen geht, allgemeine wortgeo-
graphische Ergebnisse, wie semantische Differenzierungen oder Wort-
kreuzungen in Grenzzonen, Unterschiede zwischen zentralem und peri-
pherem Wortschatz in Bezug auf die Verbreitung, Bedeutung des Affekts
fur Leben und Verbreitung der Worter u.dgl.m., nicht weiter verfolgt
werden22.
3. Nun ist allerdings der Wert der Wortgeographie gerade fur Gliede-
rungsfragen nicht immer unangefochten gewesen. Vor allem ist immer
wieder auf die — sicher zutreffende — grossere Beweglichkeit des
Wortschatzes gegenuber Lauten und Formen hingewiesen und daraus
(besonders von den Junggrammatikern23) die Behauptung abgeleitet
worden, die geographische Verbreitung der Worter sei ’zufållig’ und
deshalb fiir die Mundartgliederung wenig charakteristisch. Es ist be-
zeichnend, dass Wenkers Fragebogen fiir Deutschland wie Storms
Frageliste fiir die Sammlung von Dialektmaterial in Norwegen24 als
typische Erzeugnisse der junggrammatischen Schule sich ausschliesslich
auf Laut- und Formenlehre beziehen. Fiir Norwegen ist ausserdem
noch in jiingster Zeit behauptet worden, es gebe ausser rein sachlich
bedingten Unterschieden iiberhaupt keine Wortgeographie25, und selbst
Ivar Aasen schåtzte in seiner norw. Grammatik26 trotz langjåhriger
21. Auch solite, was die innernorwegische Gliederung anbetrifft, dem in Vorbereitung
befindlichen norwegischen Sprachatlas (vgl. I. Hoff, NTS 19, 1960: 595-622)
nicht vorgegriffen werden.
22. Vgl. im iibrigen zur Darstellung auch § 7.
23. Vgl. zB. H. Paul, Prinzipien der Sprachgeschichle6 (Halle a.S. 1937), S. 47: ’Das
eigentlich charakteristische Moment in der dialektischen Gliederung eines zusam-
menhångenden Gebietes bleiben immer die Lautverhåltnisse ... Am wenigsten ist
der Wortschatz und seine Verwendung charakteristisch’. Selbst W. Mitzka,
Deutsche Wortgeschichte2 II (Berlin 1959), S. 600 nennt die Wortgeographie in
Bezug auf die aussersprachlichen Raumfaktoren ’willkiirlich’.
24. Johan Storm, Kortere ordliste med forklaring af lydskriften. Kristiania 1884.
25. Olav Næs, Norsk grammatikk, I. Ordlære (Oslo 1952), S. 42.
26. Aasen, Gr. S. VIII f., in der uberarbeiteten Ausgabe Norsk Grammatik (2. Aufl.
Kristiania 1899) auch § 375.