Bibliotheca Arnamagnæana - 01.06.1967, Page 110
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GESCHLECHTSLEBEN
bezeugt ist. Ob sich dadurch eine spezielle Beziehung Island - S-Tr./
Østerd. abzeichnet, ist freilich zweifelhaft, da man ihr im Hinblick auf
die urspriinglich mit åløyen doch wohl in råumlichem Zusammenhang
stehende Form ålen gerne eine einst etwas grossere Verbreitung zubil-
ligen mochte. Bei ålen handelt es sich offenbar um eine Kurzform, die
mit dem Suffix -in von dem sekundåren ’Stamm’ ål- aus gebildet wurde.
Damit kommen wir auf die Fragen der urspriinglichen Verbreitung
des ganzen Worttyps und des Verhåltnisses zwischen den norw. und isl.
Formen. Um die Antwort auf die letztere Frage gleich vorwegzunehmen,
so ist die Obereinstimmung norw. åløy(en) / ålen — isl. ålægin, ålægja
{ålæg) / åla so auffållig, dass sie kaum auf dem Zufall paralleler Ent-
wicklung beruhen kann, und wir durfen also wohl annehmen, dass beide
Grundformen zur Landnahmezeit von Siedlern aus verschiedenen Ge-
genden Norwegens nach Island gebracht wurden. Wir mussen hier
freilich noch einen Blick auf einige entsprechende Formen im Får.
werfen. Hier stehen nebeneinander: ryssan er d åløgum [galøvun] (mit
haplologischer Kurzung: d løgum 1, d løgu 7) und d dlum 1414, 23, ebenso
hesturin dleggur 7 und hesturin diar ryssuni 22. Man mag zunåchst
geneigt sein, die recht vereinzelten Kurzformen im Får. gerade als Beweis
flir rel. junge Parallelentwicklung zu nehmen. Da es sich aber um eine
sonst durchaus nicht gewohnliche Kurzung handelt18, wird man sie doch
auch im Zusammenhang mit den norw. und isl. Formen sehen und ein
einstiges Nebeneinander von dleggja und dia auch flir Norwegen vor-
aussetzen mussen. Åløgum, dlum sind dann als in Analogie zu d illum
(s. § 32) verwendete Dat.Sg.Mask.Neutr.-Formen eines Adjektivs
*dløg(ur), *dl(ur) aufzufassen16.
Die Annahme einer in die Zeit vor der islåndisch-fåroischen Land-
nahme zuriickreichenden Doppelformigkeit wiirde an Wahrscheinlich-
keit noch gewinnen, wenn es uns gelånge, flir norw. åløy{en) und ålen
eine fruher wesentlich grossere Verbreitung nachzuweisen. Anhand der
zur Verfiigung stehenden Literatur gelangen wir freilich nicht iiber die
beiden auf der Karte dargestellten isolierten Gebiete hinaus, und auch
14. Hier allerdings zweimal 'å alum’ geschrieben; Verschrieb?
15. Es ist auch zu beachten, dass zwei der drei Belege fur Kurzformen aus dem auch
sonst eher konservativen Sandoy (vgl. etwa gemlingur gegeniiber gjol{y)ingur
§ 210) stammen.
16. Dass das in der 1. Aufl. von JM angesetzte Subst. dløga f. »Brunsttid (især hos
Hopper)« nur aus der Wendung ryssan er å åløgum abstrahiert wai, zeigt die 2.
Aufl., die nur noch die Form åløgum als Stichwort ansetzt.