Bibliotheca Arnamagnæana - 01.06.1967, Page 314
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Man konnte versucht sein, diese nordlichen Belege als Uberreste einer
einst allgemein norw. Yerbreitung zu deuten, doch låsst sich in diesem
Fail schwer erklåren, wieso ein jiingeres Wort fur »Stier(im allgemeinen)«
neben den bereits eingesessenen ukse und tjor im ganzen Land (vor-
iibergehend!) hatte durchdringen konnen. Viel eher ist in stut eine
siidskand. Novation zu sehen, die in Norwegen nie wesentlich iiber
das Gebiet, das vorher tjor eingenommen hatte, hinaus gelangte. Das
Wort ist heute im wesentlichen auf das siidliche Skandinavien be-
schrånkt: im grossten Teil von Siidschweden ist es in der Bed. »junger
Ochse«, in Siidwestschweden und Danemark in der allgemeineren
Bed. »Ochse« im Gebrauch70. Es bezeichnet von Hause aus etwas
Abgestumpftes, Dickes (zu isl. stutur »stumpfes Ende eines Horns,
Flaschenhals«, norw. und schwed. dial. stut »Lure, Horn als Biasin-
strument« usw.)71, ist also in eine Reihe mit bol(i), (ukse)tapp, ukse-/
stutepose und uks{e)bagg (vgl. § 148 f.) zu stellen, die sich grosstenteils
auf den jungen Stier beziehen. Man kann also sowohl von der Etymo-
logie wie von der verbreiteten Bed. »junger Ochse« her (mit Zetterholm)
annehmen, das Wort håbe urspriinglich den jungen Stier oder Ochsen
bezeichnet. Nachdem es in Sudskandinavien diese Bedeutung angenom-
men hatte, hatte es sich dann lt. Zetterholm auch nach dem siidlichen
Norwegen ausgebreitet, wo es die Bedeutung auf den Stier im all-
gemeinen ausweitete, weil hier wohl åhnlich wie in Nordschweden
gewohnlich nur junge Stiere gehalten wurden und Kastration von
Stieren uberhaupt wenig iiblich war (vgl. § 142). Diese letztere Bedeutung
ist in Norwegen fast alleinherrschend geworden; einzig in Østf.
zeigt sich ein Auslåufer der dån.-siidwestschwed. Bed. »Ochse«.
Wenn stut nicht weiter nach Norden vorzudringen vermochte, so
ist dies ausser ukse noch weiteren Bezeichnungen fur den (Zucht)stier,
die seit anord. Zeit in grosseren Teilen des westlichen und nordlichen
Norwegens im Gebrauch waren, zuzuschreiben:
In einem ziemlich grossen Gebiet des mittleren Norwegens ist seit
langem der Typus gradung, grodung, greding, gridung als Spezialwort fur
den zuchtfåhigen Stier im Gebrauch. Er ist schon anord. (auch anorw.)
gut belegt und gelangte mit der Besiedlung auch nach Island und den
70. S. ebd. Fig. 9 auf S. 134.
71. Vgl. zur Etymologie FT 1188; Flellquist 1097 (mit unrichtiger Grundbedeutung:
»djur med avtrubbat horn«); Johannesson, Et.Wb. 864.