Bibliotheca Arnamagnæana - 01.06.1967, Side 423
FRUHLINGSWOLLE
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5) Wolle
A) »FRUHLINGSWOLLE« (Karte 59)
211. Wåhrend die Wolle im allgemeinen im Westnord. wie im gesamten
Nord. (und Germ.) iiberall ull f. heisst, sind die Bezeichnungen der
’Friihlingswolle’ wortgeographisch von Interesse.
Mit ’Friihlingswolle’ ist die kiirzere, grobere Wolle gemeint, die den
Winter iiber auf dem Schaf wåchst und, je nach dem physischen Zustand
des Tieres, im Friihling sich selbst zu losen beginnt, so dass sie von Hånd
abgerupft werden kann, oder aber fest bleibt, so dass sie geschoren
werden muss. Diese Wolle wird beim Weben als Einschlag verwendet,
wåhrend die långere und feinere Sommer- oder Herbstwolle als Zettel
dient.
Diese Unterscheidung ist freilich nicht auf dem ganzen Gebiet gleich
aktuell. Sie gilt vor allem fur Norwegen, wo es weithin iiblich ist,
den Schafen die Wolle zweimal jåhrlich — im Friihling und Herbst —
abzunehmen. (Daneben kommt allerdings auch einmaliges Scheren oder
Rupfen, bes. im Friihling, vor, und anderseits unterscheiden einige Gww.
drei verschiedene Arten von Wolle, je nachdem sie im Herbst, Winter
oder Friihling entfernt wird). Auf Island und den Fåroern ist es
dagegen allgemein iiblich, den Schafen die Wolle nur einmal im Jahr
(im Juni) abzunehmen, weshalb die Unterscheidung zwischen Friih-
lings- und Herbst- (oder Sommer- und Winter-)wolle im allgem. ohne Be-
lang ist. Meist wird deshalb nur zwischen isl. vorull, får. vdrull »Wolle
von lebenden Schafen« und isl. haustull, får. skinnull »Wolle, die im
Herbst von den Fellen geschlachteter Schafe gewonnen wird« unter-
schieden. Da aber zwischen den norw. Typen ru und vårull und ihren
isl.-får. Entsprechungen trotzdem noch enge bedeutungsmåssige Bezie-
hungen bestehen, empfiehlt es sich doch, auch das Isl. und Får. in die
Untersuchung einzubeziehen. Als gemeinsamen Nenner flir die Bedeu-
tung der norw. und isl./får. Worter konnen wir etwa festlegen: »Wolle
(von einem halben oder ganzen Jahr), die das Schaf im Friihling trågt,
die ihm im Friihling abgenommen wird«.
212. Am stårksten tritt hier der Typus norw. ru f. (bf. zT. runa, rune, runo
usw.), isl. ru n. in Erscheinung. Er zeigt eine typisch westskandinavische
Verbreitung. In Norwegen beherrscht er vor allem den Siidwesten und
Westen vom westl. Tel. iiber Agder, Rog., Hord., Sogn o.F. bis