Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1941, Page 69
ISLANDISCHE MALER
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sich niemals mit dem annáhernd Gegliickten, mit dem Angeneh-
men und Gefálligen in der Kunst. Er hat eine ausserordentlich
strenge kiinstlerische Moral und lásst sich nicht auf den kiinstleri-
schen Kompromiss ein.
Jón Stefánsson vertritt die Ansicht, dass die dynamische Kraft
eines Bildes von den Farben, ihrem Zusammenklang und ihrer
Gesamtwirkung abhánge, aber er ist sehr misstrauisch gegeniiber
billigen koloristischen Effekten, in denen nur das Angenehme oder
Schöne erstrebt wird — schon weil diese Begriffe ganz zufálligen
örtlichen und zeitlichen Modemasstáben unterworfen sind. Die
dynamische Kraft eines Bildes, sozusagen seine kiinstlerische Vi-
talitát, hángt gar nicht davon ab, ob es beim ersten Anblick ge-
fállig und angenehm wirkt oder nicht.
Jón Stefánsson ist einer derjenigen modernen Maler, die ihre
Kunst am ernstesten nehmen. Er hat die Malerei theoretisch, prak-
tisch und systematisch studiert. Er hat die Kunst der alten Meister
und aller modernen Richtungen analysiert. Er kennt ihre Ge-
schichte wie ein Kunstgelehrter und hat alle ihre Probleme zu
durchdenken gesucht.
Auch dem handwerklichen Studium der Malerei hat er sich
— so wie die alten Meister — mit grösster Liebe und Geduld hin-
gegeben. Er kennt die Herstellung und Zusammensetzung der
Farben und ihre Eigentiimlichkeiten und ist in die Geheimnisse
der verschiedenen Bindemittel eingedrungen. Bei der handwerk-
hchen Seite der Malerei vernachlássigt er nicht das geringste De-
tail. Jahrelang waren maltechnische Biicher seine treuesten Be-
gleiter. —
Kjarval ist ein Jón Stefánsson ebenbiirtiger Kiinstler. Auch
cr hat sehr eigenartige und kiinstlerisch vollendete Bilder geschaf-
fen. Aber seinem Gesamtwerke liegt keine einheitliche und fest-
gefiigte Kunstauffassung zu Grunde. Es gibt von ihm expressio-
nistische und impressionistische Bilder, naturalistische Zeichnun-
gen und klassizistische Entwiirfe. Da, wo er islándische Natur und
islándische Menschen mit einfachen Mitteln wiedergibt, wirkt er
am echtesten. Seine Zeichnungen von islándischen Bauern- und
Fischertypen sind sehr interessant.
Der unmittelbaren Intuition opfert Kjarval alle anderen Ele-
mente der Kunst. Einer seiner Bewunderer, der islándische Schrift-
steller Laxness, macht daraus eine Tugend und schreibt, dass sein
w'erk ebenso aus dem Spieltrieb entstanden sei — wie die Schöp-
fung der Welt. Obwohl Kjarval eine Zeitlang auf der Kopen-
hagener Akademie studiert hat, ist er ein genialer Autodidakt