Le Nord : revue internationale des Pays de Nord - 01.06.1941, Page 156
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LE NORD
alltaglichen, menschlichen und sozialen Lebensablauf dargestellt
wird. In seinem Werke »Ober das Land der Kalevala-Gesange«
beschrieb I. K. Inha in entziickender Weise seine Eindriicke vom
Jahre 1894 und schilderte, was trotz der Primitivitat unter dem
Drucke der slavischen Welt doch die Vorstellung einer »Kalevala-
Kultur« erweckte, námlich seltene Schönheit und Reinheit der
Volkssitten.
Und wie steht es denn mit dem Anteil der finnisch-karelischen
Schriftsteller an der neueren finnischen Literatur? Man denke
daran, dass Peter der Grosse im Jahre 1721 dasselbe Stiick kare-
lisches Finnland dem russischen Reich einverleibte wie 1940 die
Bolschewisten. Dieses »Alt-Finnland« wurde 1812 mit dem iibri-
gen Finnland vereinigt. Es liegt auf der Hand, dass es infolge
seiner Verbindung mit der slavischen Welt in seiner Entwicklung
zuriickgeblieben war. Trotzdem nahmen die karelischen Lyriker
und Schriftsteller Mitte des 19. Jahrhunderts schon in erstaun-
lich lebendiger Weise Teil an der finnischen nationalen Literatur
in ihren Anfángen. Einer von ihnen, Arvi Jánnes, hat in packen-
den Versen die Leiden Kareliens wiedergegeben und auch seine
Hoffnung auf die Zukunft, wenn es einmal vom Drucke des
Ostens befreit sein wird.
In grossen Ziigen muss man beachten, dass die Seele Kareliens
auch in der neueren finnischen Literatur in Richtung Nord—Siid
zu finden ist. Zu Beginn des Realismus in den 8oer Jahren des 19.
Jahrhunderts brachte Juho Reijonen mit seinem unwiderstehlichen
Humor und eindrucksvollen Naturschilderungen Nordkarelien in
die Literatur Finnlands. Der grosse neuromantische Dichter Eino
Leino, den wir schon friiher erwáhnten, war seiner Geburt, wenn
auch nicht seiner Heimat nach Karelier. In seiner unsterblichen
Balladensammlung »Helkavirsiá« leuchtet Karelien in herrlichen
legendaren Offenbarungen, die von der Sehnsucht in die Ferne
durchdrungen sind. Aber er hat auch in Streitgedichten Karelien
verteidigt, z. B. 1911, wo die Russen einige uralte finnische Kirch-
spiele der Karelischen Landenge ihrem Lande einverleiben woll-
ten. Dieses Gedicht wurde im Herbst 1939 wieder sehr aktuell.
Der etwas jiingere Dichter Iivo Hárkönen schilderte in seinen
volkstiimlichen zarten Gedichten und Prosaveröffentlichungen
das orthodoxe Karelien nordöstlich vom Ladogasee. Er hat eine
Briicke auch zur russischen Seite hin geschlagen, indem er zum
erstenmale in kiinstlerischem Sinne den karelischen Aunusdialekt
angewandt hat.